Heidelberg

Unwahrscheinliche Nähe

Sie saßen am Ende der längsten Tafel, die sie je gesehen hatte, im Saal einer Villa, die zu groß war, um sie zu bewohnen. Ihr Tischnachbar, der als Dr. Bauer eingeführt worden war, stellte sich bereits nach zehn Minuten als Anton vor und lächelte ungläubig, als sie “Cäcilie” sagte. Sie lachte: “Cäci.” Da waren sie bei ihrer ersten unwahrscheinlichen Gemeinsamkeit: den Plejaden. Anton hatte über den Sternhaufen seinen Astronomie-Doktor geschrieben, Cäci über die Nymphen der griechischen Mythologie ihr Gräzistik-Diplom. Der hohe Raum überzog sich mit einer besternten, mythologisch-physikalischen Unendlichkeit, bevölkert von Neptun, Uranus und Cassiopeia. 

Es gab irgendwas zu essen, eine Rede, den Auftritt eines Prominenten und noch eine Rede, die unauffällig, aber nachdrücklich an den Gastgeber des Fundraising Dinners erinnerte. Sie sprachen derweil über die langen Tische ihrer Kindheit. Anton war in einer WG im wilden Kreuzberg aufgewachsen, als Berlin noch Mauerstadt hieß, Ceci in der Eifel als Teil des Geschlechts der Blankarts. Als hätten sie am Nord- und Südpol gelebt. 

Doch zu beider Alltag gehörten große Essen, zu denen die erstaunlichsten Gäste eingeladen wurden. Zum Beispiel: “Werner.” “Der mit den Dreadlocks bis zum Hintern?” “Genau.” “Bei euch war er auch?” Die zweite unwahrscheinliche Gemeinsamkeit führte zu gemeinsamen Sternbildern menschlicher Beziehungen und schließlich in die Plöck, wo beide regelmäßig Süßes und Saures kauften, ohne sich jemals begegnet zu sein. 

Zu diesem Zeitpunkt stand das Dessert noch aus, doch sie wollten nur noch Licht, also genau genommen Lichter, die zueinander finden wie Sterne im All oder Kinder der Götter, und so verschwanden sie eine halbe Stunde später in der Dunkelheit am Rande des Schlangenweg in der Glühwürmchenzeit. Und weil es ein sehr unwahrscheinlicher Abend war, trafen sie dort Werner.